Was versteht man unter dem Vorrang des milderen Mittels?

Im Arbeitsverhältnis gibt es nichts Härteres als eine fristlose außerordentliche Kündigung. Das verstehen natürlich auch der Gesetzgeber und die Gerichte. Deswegen ist die außerordentliche Kündigung das äußerste Mittel, die unausweichliche letzte Maßnahme, zu der ein Arbeitgeber greifen darf. Denn auch im Kündigungsrecht gilt – wie übrigens im gesamten Rechtssystem – der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Das heißt: bevor der Arbeitgeber eine außerordentliche Kündigung aussprechen darf, muss er schauen, ob nicht weniger einschneidende Maßnahmen in Betracht kommen. Dabei sind allerdings nur die Mittel zu berücksichtigen, die genauso wirksam sind, um das Ziel zu erreichen. In Betracht kommen:

  1. Beschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz,
  2. Abmahnung,
  3. ordentliche Kündigung.

Wann diese milderen Maßnahmen aber genauso wirksam sind wie eine außerordentliche Kündigung und wie das “rechtstechnisch” gestaltet werden muss, bleibt eine Frage des Einzelfalls. Hier kommt vieles auf die Art des Verstoßes an sowie auf die Betriebsstrukturen.

Wann beginnt die zwei Wochen-Frist und wann läuft sie ab?

Über die Frage der Einhaltung der Kündigungsfrist herrscht zwischen den Parteien regelmäßig Streit.
Die Frist beginnt grundsätzlich mit dem Zeitpunkt, in dem der Arbeitgeber von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen erfährt. Die Kenntnis eines Dritten (vor allem eines Vorgesetzten oder eines anderen Mitarbeiters) muss sich der Arbeitgeber nur dann zurechnen lassen, wenn man normalerweise erwarten kann, dass dieser Dritte den Chef über das Verhalten seiner Mitarbeiter informiert. Das hängt entscheidend von der Stellung des Dritten im Betrieb ab. So wird man bei einem Schichtleiter regelmäßig erwarten können, dass dieser einen groben Verstoß eines Mitarbeiters (etwa Arbeitszeitbetrug) dem Arbeitgeber meldet. Anders sieht es aber aus, wenn jemandem, der sich in der gleichen Hierarchiestufe wie der betroffene Mitarbeiter befindet, ein solches Fehlverhalten auffällt. Ist die Kommunikation “nach oben” nicht üblich, wird man das Wissen dieses Mitarbeiters auch nicht dem Chef zurechnen können. Die zwei Wochen-Frist beginnt dann nicht zu laufen.

Muss der Arbeitgeber eine Kündigungsfrist einhalten?

Um eine außerordentliche Kündigung auszusprechen, hat der Arbeitgeber gemäß § 626 Abs. 2 BGB nur zwei Wochen Zeit. Denn bei so gravierenden Einschnitten braucht der Arbeitnehmer schnell Gewissheit über sein weiteres Schicksal. Verpasst der Arbeitgeber die Frist, ist eine außerordentliche Kündigung schon aus diesem Grund unwirksam. Allerdings hat der Arbeitgeber mehr Zeit, wenn der Gekündigte durch unredliches Verhalten (z.B. Verbreitung irreführender Informationen) den Arbeitgeber davor abgehalten hat, die Kündigung in der Frist auszusprechen.

Welche Verstöße kommen für eine fristlose Kündigung in Betracht?

Die Gründe für eine fristlose Kündigung durch den Arbeitgeber sind nahezu ausschließlich im Verhalten des Arbeitnehmers zu suchen.
Viele Verstöße, die einen außerordentlichen Kündigungsgrund darstellen können, liegen auf der Hand. Diebstahl, Betrug, Tätlichkeiten, grobe Beleidigungen, sexuelle Belästigungen von Kolleginnen und ähnliche Delikte rechtfertigen, sofern sie denn tatsächlich begangen worden sind, in aller Regel den Ausspruch einer fristlosen Kündigung. Gerade Vermögensdelikte zu Lasten des Arbeitgebers zerstören für gewöhnlich die Vertrauensbasis, ohne die eine Zusammenarbeit nicht funktionieren kann. Daher muss der Arbeitgeber solche Verstöße auch nicht dulden und darf sie meistens mit einer fristlosen Kündigung ahnden.

Keine “absoluten” Kündigungsgründe

Dennoch muss man auch hier beachten: einen “absoluten” Kündigungsgrund gibt es nicht. Egal wie schwerwiegend der Verstoß ist, eine fristlose Kündigung kann an den übrigen Voraussetzungen scheitern. Dies gilt nicht nur für den Fall, dass der Arbeitnehmer an der Verfehlung keine Schuld trägt, sondern auch dann, wenn die Interessenabwägung zu seinen Gunsten ausfällt. Gerade wenn die Verfehlung eine einmalige Sache war und der Arbeitnehmer sich bisher immer als vertrauenswürdig gezeigt hat, kann eine fristlose Kündigung auch bei einem Vermögensdelikt unwirksam sein.

Es gibt viele andere Verfehlungen, die zwar häufiger zum Anlass einer fristlosen Kündigung genommen, die jedoch von Gerichten als nicht hinreichend schwerwiegend zurückgewiesen werden.

Was versteht man unter einem schwerwiegenden Verstoß?

Für eine fristlose Kündigung verlangt das Gesetz als allererstes einen wichtigen Grund. Denn nur bei einem besonders schwerwiegenden Verstoß darf auf die Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist verzichtet werden. In bestimmten Fällen reicht allerdings schon der Verdacht eines gravierenden Verstoßes. Dieser muss jedoch fundiert und stichhaltig sein. In solchen Fällen spricht man von einer Verdachtskündigung.
Ist die Verfehlung verhältnismäßig gering, kann der Arbeitgeber Sie nicht von nun auf gleich entlassen. Es ist ihm zuzumuten, den Ablauf der Frist zur ordentlichen Kündigung abzuwarten.

Was sind die Voraussetzungen einer fristlosen Kündigung?

Die Voraussetzungen auf einen Blick:

  1. Schwerwiegender Verstoß/dringender Tatverdacht
  2. Rechtswidrigkeit des Verstoßes und Schuld des Arbeitnehmers:
    Der Arbeitnehmer handelt vorsätzlich oder fahrlässig
  3. Kein milderes Mittel:
    Andere, weniger einschneidende Maßnahmen (z.B. eine anderweitige Beschäftigung, ordentliche Kündigung oder Abmahnung) kommen nicht in Betracht
  4. Interessenabwägung:
    Das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung überwiegt das Interesse des Arbeitnehmers an dem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses.
  5. Kündigungsfrist:
    Die Kündigung muss innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis der maßgeblichen Umstände ausgesprochen werden.

Was passiert bei Fehlern in der Sozialauswahl?

Jeder Arbeitnehmer darf sich grundsätzlich darauf berufen, dass an seiner Stelle ein sozial weniger schutzwürdiger Mitarbeiter hätte entlassen werden sollen. Allerdings führt nicht jeder Fehler in der Sozialauswahl zur Unwirksamkeit einer Kündigung. Gerade kleine Fehler sind unbeachtlich. Eine gänzlich tadellose Sozialauswahl wird von dem Arbeitgeber nicht erwartet. Es soll nur deutlich zum Ausdruck kommen, dass er bei der Auswahl alle relevanten sozialen Gesichtspunkte erkannt und in seine Entscheidung einbezogen hat.

Gibt es Arbeitnehmer die von vornherein aus der Sozialauswahl ausgeschlossen sind?

Im Bereich der betriebsbedingten Kündigung gibt es Arbeitnehmer, die einen besonders hohen Kündigungsschutz genießen. Dazu gehören Betriebsratsmitglieder, Schwangere oder junge Mütter bis zum vierten Monat nach der Entbindung sowie schwerbehinderte Arbeitnehmer. Diese Personengruppen sind grundsätzlich nicht in die Sozialauswahl einzubeziehen, da sie Sonderkündigungsschutz beanspruchen.
Bei schwerbehinderten Arbeitnehmern steht es dem Arbeitgeber zwar frei, sie in die Sozialauswahl einzubeziehen, eine Pflicht, das zu tun, trifft ihn jedoch nicht. Will er sie allerdings in die Sozialauswahl einbeziehen, benötigt er dafür die Zustimmung des Integrationsamtes.
In der Praxis werden Arbeitnehmer, die Sonderkündigungsschutz genießen, so gut wie nie in die Sozialauswahl einbezogen. So vermeiden Arbeitnehmer komplexe rechtliche Schwierigkeiten.
Sollten Sie trotz eines für sie geltenden Sonderkündigungsschutz in die Sozialauswahl einbezogen worden sein, besteht erhöhter Anlass, sich gegen die Kündigung zu wehren.

Wann sprechen betriebliche Interessen für die Weiterbeschäftigung eines Arbeitnehmers?

Für bestimmte Arbeitnehmer sieht das Gesetz in [popover title=”§ 1 Absatz 3, Satz 2 KSchG” title_bg_color=”” content=”In die soziale Auswahl nach Satz 1 sind Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt.” content_bg_color=”” bordercolor=”” textcolor=”” trigger=”hover” placement=”top” class=”” id=””]§ 1 Absatz 3, Satz 2 KSchG[/popover] eine Ausnahme vor, die dem Arbeitgeber erlaubt, diese Mitarbeiter aus der Sozialauswahl herauszunehmen.
Dafür ist es erforderlich, dass ihre Weiterbeschäftigung, insbesondere

  • wegen ihrer Kenntnisse
  • wegen ihrer Fähigkeiten und Leistungen oder
  • zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur

im berechtigten betrieblichen Interesse liegt.
Mithilfe dieser Vorschrift wird dem Arbeitgeber ermöglicht, Leistungsträger oder aus anderen Gründen für den Betrieb besonders wichtige Personen trotz eines niedrigeren Sozialpunktewertes für das Unternehmen zu erhalten.

Kann der Bewertungsmaßstab von sozialen Gesichtspunkten von vornherein festgelegt sein?

§ 1 Absatz 4 KSchG regelt, dass das Verhältnis, in dem die sozialen Gesichtspunkte zueinander zu bewerten ist, auch in einem Tarifvertrag, einer Betriebsvereinbarung oder einer entsprechenden Richtlinie nach den Personalvertretungsgesetzen festgelegt sein kann. Ist das geschehen, wird die Punkteskala sozusagen vorbestimmt. Das hat zur Folge, dass die anschließende Bewertung, die der Arbeitgeber bei der Sozialauswahl vornimmt, durch die Gerichte nur noch auf grobe Fehlerhaftigkeit hin überprüft werden kann. Was genau sich hinter dem Begriff der groben Fehlerhaftigkeit versteckt, wird in der Rechtsprechung und der rechtswissenschaftlichen Literatur nicht einheitlich beurteilt. In jedem Fall ist grobe Fehlerhaftigkeit gegeben, wenn eines der Grundkriterien zur Sozialauswahl in die Bewertung überhaupt nicht – oder nur in sehr geringem Maße – eingeflossen ist.